Vom Überleben ins Spüren

von | Aug. 20, 2025 | Zwischen Kopf und Herz | 0 Kommentare

Zusammenbruch

Vor einigen Jahren brach alles in mir zusammen. Ich war mitten in einem Burnout – ein Zustand, den ich lange nicht wahrhaben wollte. Mein Leben war doch schön: Ein Job, der mir Spaß machte, eine Beziehung, die ihre Höhen und Tiefen hatte, und ein finanzielles Polster, das mich sicher fühlen ließ. Doch tief in mir spürte ich, dass ich nur noch funktionierte. Mein Kopf traf die Entscheidungen, während mein Herz kaum noch zu Wort kam.

Ein Kindheitstraum als Wendepunkt

Dann erfüllte sich ein Traum, den ich schon als Kind hatte: eine Delfintour. Seitdem ich als kleines Mädchen einem Delfin im Freizeitpark nahekam, wusste ich, dass dies mein Lieblingstier ist. Schwimmen mit Delfinen im offenen Meer – für mich war es ein riesiges Geschenk. Und doch war da nicht die ungetrübte Freude, die ich erwartet hatte. Es war eine Begegnung mit der Reiseleiterin, die mir die Augen öffnete: Wir sprachen lange miteinander, und am Ende unseres Gesprächs sagte sie einen Satz, der mich tief traf: „Wenn du dein Herz öffnest, dann lernst du zu sehen.“ Ich verstand nicht, was sie meinte. Aber in mir spürte ich plötzlich eine Leere, die ich nicht mehr ignorieren konnte.

Als die Fassade bröckelte

Von diesem Moment an begann etwas in mir zu zerbrechen. Ich zog mich zurück, sagte Verabredungen ab, fühlte mich wie in einem Raum ohne Türen oder Fenster. Die taffe Kollegin, die verständnisvolle Partnerin, die Freundin mit dem offenen Ohr – all das fiel in sich zusammen. Und da war sie, die Frage, die mich nicht mehr losließ: Wie konnte ich mich so weit von mir selbst entfernen? Und wie finde ich wieder zurück?

Wenn Schutzmechanismen das Leben bestimmen

In der Zeit danach begann ich, mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich erfuhr, dass unser System uns schützt, indem es Mechanismen aufbaut. Perfektionismus, Rückzug, übermäßiges Essen – all das können Strategien sein, um Schmerz nicht spüren zu müssen. Mein stärkster Schutzmechanismus war die Anpassung. Es anderen recht machen, niemanden enttäuschen, Verständnis zeigen – das waren die Stützpfeiler meines Lebens.

Was dabei auf der Strecke blieb? Ich selbst.

Meine Bedürfnisse auszudrücken oder meinen eigenen Weg zu gehen, fühlte sich bedrohlich an. Also unterdrückte ich meine Gefühle, bis ich sie kaum noch spüren konnte. Was ich damals nicht wusste: Diese Schutzmechanismen sind wie ein Nebel. Sie helfen mir, schwierige Zeiten zu überstehen, doch sie verdecken auch mein wahres Potenzial. Meine Talente und Träume brauchen Raum, um sich zu zeigen – und den gibt es nicht, wenn ich nur noch im Überlebensmodus funktioniere.

Den Schmerz zulassen

Erst nach meiner Delfinreise erkannte ich, dass nicht nur dieser Moment, sondern auch der Tod meiner Oma lange in mir nachgewirkt hatte. Mein System hatte all das verdrängt, um zu funktionieren. Und jetzt war da nichts mehr, das mich davon abhielt, es zu fühlen. Gleichzeitig war dieser Zusammenbruch der Beginn von etwas Neuem: ein Leben, das ich authentisch aus mir heraus gestalten wollte.

Ich ließ den Schmerz zu – und es fühlte sich nicht nach Erleichterung an. Sondern nach Chaos. Nach Kontrollverlust. Nach einer riesigen Herausforderung.

Für mich begann eine Reise, die ich heute als ‚Forschungsreise meiner Gefühle‘ bezeichne.

Der Körper als Speicher meiner Emotionen

Ich versuchte lange, über den Kopf an meine Gefühle heranzukommen. Ich schrieb Tagebuch, sprach Affirmationen, praktizierte Dankbarkeit. Aber der wahre Zugang blieb mir verschlossen.

Erst als ich verstand, dass Emotionen nicht nur in Gedanken, sondern im Körper gespeichert sind, begann sich etwas zu verändern. Ich setzte mich in Stille, lauschte meinem Atem – und plötzlich kamen Tränen. Oder Wut. Oder tiefe Traurigkeit. Ich spürte, wo in meinem Körper Anspannung saß, welche Gefühle sich in meiner Brust oder meinem Bauch festgesetzt hatten.

Manchmal war es schmerzhaft, manchmal befreiend. Aber es war echt.

Sicherheit in meinem Fühlen

Eine Freundin brachte mich auf die Idee, ein Kissen fest an mich zu drücken, wenn die Emotionen zu überwältigend wurden. Ich hielt es, atmete durch und ließ alles zu, was kam. Ich wusste nicht, dass diese Übung aus der Inneren-Kind-Arbeit stammt – aber ich spürte, wie sie mir half.

In meiner Zeit als Erzieherin hatte ich oft über das innere Kind gelesen. Über die Wunden, die uns unbewusst lenken, über alte Muster, die uns noch als Erwachsene begleiten. Jetzt verstand ich es auf einer neuen Ebene. Meine Gefühle waren nicht falsch. Ich war nicht falsch.

Ich erinnere mich an einen Satz aus der Arbeit mit Kindern: „Du bist okay. Das, was du gerade gemacht hast, war nicht okay.“ Und zum ersten Mal in meinem Leben übertrug ich ihn auf mich selbst:

Ich bin okay – auch wenn ich Angst habe. Auch wenn ich wütend bin. Auch wenn ich weine.

Wenn der Körper die Antwort kennt

Je mehr ich mich auf meine Gefühle einließ, desto klarer wurde mir, dass ich mein Leben verändern musste. Ich begann, Entscheidungen nicht mehr nur im Kopf zu treffen, sondern in meinem Körper zu spüren.

Wenn ich an eine Möglichkeit dachte, fragte ich mich: Fühlt es sich weit und leicht an? Oder eng und schwer?

Und plötzlich wusste ich, was ich nicht mehr wollte. Mein damaliger Job fühlte sich wie ein zu kleiner Schuh an – nicht mehr passend, nicht mehr richtig. Und als ich meinen Herzraum öffnete, erinnerte ich mich an etwas, das ich längst verloren geglaubt hatte: meinen Traum vom Schreiben.

Ich vertraue meiner inneren Stimme

Auch im Alltag begann ich, genauer hinzuhören. Ich spürte, ob ich wirklich Lust auf ein Treffen hatte oder ob mein Körper nach Ruhe rief. Ich fühlte, welche Kleidung sich gut anfühlte, welche Nahrung mir guttat. Es klingt banal, aber für mich war es eine völlig neue Art, mein Leben wahrzunehmen.

Ich habe gelernt: Klarheit kommt nicht durch Erzwingen, sondern durch Fühlen.

Und wenn ich mir erlaube, einfach zu sein – mit allem, was da ist – dann zeigen sich meine Talente und mein Weg von selbst. Schritt für Schritt.

Deine Anne-Marie

P.S. Teile deine Gedanken mit uns

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Ich lade dich ein, für einen Moment nach innen zu lauschen. Spürst du Freude, Erleichterung, Unruhe? Oder vielleicht noch gar nichts? Was auch immer es ist – es darf da sein.

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